Ein Unterbogen (auch „Wassersack“, „Wasserrückstau“, „Wasserspiegel“, „Ausbiegung“ oder „Absackung“ genannt) ist eine abgesackte Strecke in einer Rohrleitung oder in einem Kanal. Hierdurch entsteht innerhalb einer Rohrleitung oder eines Kanals ein Bereich, der ein Gegengefälle hat (zuweilen auch „Kontergefälle“ genannt). In solchen Bereichen bleibt demzufolge das Wasser stehen (siehe die nebenstehende Prinzipskizze eines Unterbogens). Bei Kanalkamera-Befahrungen kann man einen Unterbogen deshalb daran erkennen, dass die Kanalkamera in einen Wasserstau hineinfährt und anschließend wieder heraus.
Es besteht Verstopfungsgefahr
Unterbögen wirken wie Sedimentationszonen. Hier können sich Feststoffe absetzen und anreichern. Abgelagerte Feststoffe wirken wie Abflusshindernisse, die den bestimmungsgemäßen Abfluss des Abwassers einschränken können. Die Feststoffe können sich auch durchaus so weit auftürmen, dass Verstopfungen entstehen können. In diesem Fall käme es zu einem Rückstau von Abwasser entgegen der Fließrichtung.
Auch die Druckverhältnisse können beeinflusst werden
Des Weiteren können Unterbögen bzw. mit Wasser gefüllte Teilbereiche einer Rohrleitung – entsprechende Wasserstände vorausgesetzt – die Be- und Entlüftung bzw. den Druckausgleich beim Fließprozess negativ beeinflussen. Auch können Druckschwankungen auftreten, die womöglich Geruchsverschlüsse leerzusaugen vermögen.
Was sagen die allgemein anerkannten Regeln der Technik?
Eine grundsätzliche Anforderung an Entwässerungssysteme ist ein verstopfungsfreier Betrieb. Deshalb widersprechen Rohrleitungsstrecken, die ein Gegengefälle aufweisen und somit verstopfungsanfällig sind, den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Rohrleitungen sollen daher in einem durchgängigen Gefälle verlegt werden. Hierdurch erreicht man auch die geforderten ausreichend großen Fließgeschwindigkeiten. Denn diese sind erforderlich, um ausreichend große Wandschubspannungen zu erzeugen, die einer Ablagerung von Feststoffen entgegenstehen. Erreichen kann man dies u.a. über ein bestimmtes Mindest-Gefälle der Rohrleitungsstrecke. Dabei müssen aber nicht nur der Anfang und das Ende einer Rohrleitungsstrecke einen gewissen Höhenunterschied der Sohltiefen aufweisen. Auch die Rohrleitung selbst muss wie gesagt ein durchgängig gleichmäßiges Gefälle längs der gesamten Strecke besitzen. Da in einem Unterbogen das Gefälle jedoch negativ ist, wird hier die für einen erfolgreichen Feststofftransport erforderliche Wandschubspannung nicht erreicht.
Wie entstehen Unterbögen?
Unterbögen beruhen entweder auf Verlegefehlern oder sie entstehen im Laufe der Zeit. Unterbögen in neuen Rohrleitungen können in der Regel immer auf Verlegefehler zurückgeführt werden, zum Beispiel dadurch, dass die Rohrbettung nicht fehlerfrei hergestellt wurde. Bei Unterbögen, die sich mit der Zeit entwickeln, vermutet man Undichtigkeiten in den Rohrleitungen als Ursache. Durch Undichtigkeiten aus den Rohrleitungen austretendes Wasser vermag nämlich die Rohrbettung über Jahre hinweg gesehen zu unterspülen. Dies dürfte bei den ganz alten Rohrleitungen der Fall sein, die in den Muffen noch mit Teerstricken abgedichtet waren. Diese Teerstricke verrotten irgendwann, so dass entsprechende Undichtigkeiten entstehen können. Daher sind in den ganz alten Rohrleitungen häufig Unterbögen vorzufinden. Heutzutage verwendet man üblicherweise Gummidichtungen, die entsprechend haltbar sind. Von daher sind in solchen Rohrleitungen mit der Zeit entstehende Unterbögen eigentlich nicht zu erwarten. Potenziell undichte Stellen können aber durch einwachsende Wurzeln entstehen.
Unterbögen sind Schäden
Zur Bewertung von Unterbögen dahingehend, ob sie Schäden darstellen, kann der „Bildreferenzkatalog – Private Abwasserleitungen“ des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen herangezogen werden. Diese Literaturquelle stellt eine Orientierungs- und Arbeitshilfe für die Auswertung der Ergebnisse von Zustandsprüfungen privater Abwasserleitungen dar. Sie wurde auf der Basis der Normen DIN EN 13508-2 („Untersuchung und Beurteilung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden, Teil 2: Kodiersystem für die optische Inspektion“) in Verbindung mit dem DWA-M 149-2 („Zustandserfassung und -beurteilung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden, Teil 2: Kodiersystem für die optische Inspektion“) und der DIN 1986-30 („Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Teil 30: Instandhaltung“) erarbeitet.
Der auf Unterbögen bezogene Ausschnitt des Bildreferenzkataloges ist nebenstehend dargestellt. Demnach zählen Unterbögen mit einem Wasserstand kleiner 30 % zu den Bagatellschäden, für die keine Sanierungsnotwendigkeit besteht. Unterbögen mit Wasserständen zwischen 30 und 70 % sind als mittelgroße Schäden zu bezeichnen, die innerhalb von 10 Jahren zu beseitigen sind. Unterbögen mit Wasserständen größer 70 % sind große Schaden, deren Beseitigung unverzüglich zu erfolgen hat. Es ist jedoch unbedingt darauf hinzuweisen, dass der „Bildreferenzkatalog – Private Abwasserleitungen“ für alte Rohrleitungen gedacht ist.
Sind Unterbögen auch Mängel?
Der Begriff „Mangel“ steht insbesondere in Zusammenhang mit Bauleistungen und ist so zu definieren, als dass ein Mangel jede Abweichung der Ist-Beschaffenheit eines Werkes von seiner Soll-Beschaffenheit darstellt. Im Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 09.01.2018 – 2 O 178/14 – heißt es hierzu, dass für die Definition der Soll-Beschaffenheit zunächst die zwischen Bauherr und ausführendem Unternehmen getroffene Beschaffenheitsvereinbarung maßgeblich ist. Sollte es aber an einer solchen Beschaffenheitsvereinbarung fehlen, kommt es auf die vertraglich vorausgesetzte, sonst auf die gewöhnliche Verwendungseignung und die übliche Beschaffenheit an. Diesbezüglich kann, so wie es weiter im o.a. Urteil heißt, ein Bauherr erwarten, dass das von ihm bestellte Werk zum Zeitpunkt der Fertigstellung (und Abnahme) diejenigen Qualitäts- und Fachstandards erfüllt, die auch vergleichbare andere zeitgleich fertiggestellte und abgenommene Bauwerke erfüllen. Das Werk müsse dabei dem Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme entsprechen. Allein die Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik würde einen Mangel darstellen.
Nun wurde bereits ausgeführt, dass Unterbögen den allgemein anerkannten Regeln der Technik widersprechen. Demnach wären Unterbögen als Mängel anzusehen. Doch ist das nicht so einfach. Denn es gibt zu berücksichtigende Bautoleranzen. Jedoch sind nirgendwo Toleranzen für Unterbögen definiert als im o.a. „Bildreferenzkatalog – Private Abwasserleitungen“. Doch dieser war eigentlich für „alte“ Rohrleitungen gedacht. Gelten nun für neue Rohrleitungen dieselben „Toleranzen“ wie für alte Rohrleitungen?
Was sagen die Gerichte?
Zum o.a. Problem lässt sich das bereits erwähnte Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 09.01.2018 – 2 O 178/14 – aus. Hier ging es um einen Unterbogen in einer neuen Rohrleitung, der einen Wasserstand von 10 % verursachte. Einen solchen Unterbogen sah das Gericht nicht als Mangel an, da einerseits ausweislich des Bildreferenzkataloges Wasserstände bis zu 30 % nicht bedenklich seien. Andererseits vertrat das Gericht die Sichtweise dahingehend, dass man die Gefahr einer Verstopfung nicht vorhersagen könne. Ins selbe Horn bläst diesbezüglich auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf im Urteil vom 01.12.2014 – 5 K 6952/13. Hier heißt es, dass selbst wenn ein Verstoß gegen die Regeln der Technik vorliegen würde (hier konkret in Bezug auf die Verlegung von Abwasserleitungen gemäß der DIN 1610), sich hieraus keine konkrete Aussicht auf eine vorzeitige Sanierungsbedürftigkeit ergäbe. Es sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit absehbar, ob die gewählte Bauausführung tatsächlich zu späteren Schäden führen würde.
Es kommt auch auf die Umstände an
Die Gerichte haben Recht: Die Existenz eines Unterbogens führt tatsächlich nicht automatisch zu einer Verstopfung oder zu Betriebsproblemen. Es kommt zum Beispiel auch immer darauf an, ob eine Entwässerungsanlage bestimmungsgemäß betrieben wird. Bei reinen Schmutzwasserleitungen zählt hierzu die Art der Feststoffe, die eingeleitet werden. Bestimmungsgemäß „dürfen“ nämlich als Feststoffe nur Fäkalien und Toilettenpapier zum Schmutzwasser gegeben werden. Hiermit ist auch bei schwach ausgeprägten Unterbögen nicht mit Problemen zu rechnen, zumal auch die von WC-Spülungen ausgehenden Spülstöße für ausreichende Spüleffekte sorgen. Werden jedoch andere Stoffe eingeleitet wie Binden, Essensreste, Feuchttücher oder sogar Katzenstreu (alles erlebt), dann besteht natürlich Verstopfungsgefahr (übrigens nicht nur bei der Existenz von Unterbögen). Auch ist in eine Bewertung mit einzubeziehen, ob sich der Unterbogen in einer Rohrleitung befindet, in der beispielsweise nur Regenwasser transportiert wird. Regenwasser zählt zu den Abwässern, die als weitgehend feststofffrei gelten. Aber auch hier gilt: bestimmungsgemäßer Gebrauch! Wer seine Dachrinnen nicht regelmäßig säubert, darf sich nicht wundern, wenn in seinem Regenwasser Feststoffe wie zum Beispiel Blätter von Bäumen mitgeführt werden.
Die sachverständige Bewertung
Ob Unterbögen Mängel oder Schäden darstellen und ob sie zu beseitigen sind, ist immer im Einzelfall zu entscheiden. Auch wenn es Bautoleranzen gibt, so kommt es auch darauf an, ob sich ein Unterbogen vielleicht schon schädlich ausgewirkt hat, zum Beispiel indem sich Ablagerungen oder sogar Verstopfungen gebildet haben. Zudem ist zu berücksichtigen, welche Arten von Abwässern in der vom Unterbogen betroffenen Rohrleitung transportiert werden. Darüber hinaus stellt sich immer die Frage, ob ein Unterbogen, der beispielsweise als ein mittelgroßer Schaden einzustufen ist, nicht schon jetzt beseitigt werden soll und nicht erst in 10 Jahren. Denn zu beseitigen ist er ja in jedem Fall.
Was sagt die DIN 1986-30?
In der DIN 1986-30 („Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Teil 30: Instandhaltung“) wird davon gesprochen, dass bei Unterbögen, die sich außerhalb von Gebäuden „zwischen Schächten mit offenem Durchfluss und Lüftungsöffnungen in den Schachtabdeckungen“ befinden, „im Einzelfall zu prüfen (ist), ob durch häufigeres Reinigen der Leitung der Betrieb aufrechterhalten werden kann oder die Sanierung in einem kürzerem Zeitraum“ zu erfolgen hat. Unabhängig davon, dass zudem zu prüfen wäre, welches Ausmaß eines „häufigeren Reinigens“ zumutbar ist und gegebenenfalls einen Schaden darstellt, deutet die Notwendigkeit, häufiger reinigen zu müssen, darauf hin, dass sich der betreffende Unterbogen bereits schädlich ausgewirkt hat (siehe oben). Denn durch eine Reinigung beseitigt man schließlich Ablagerungen. Die DIN 1986-30 eröffnet damit die Option, eine Sanierung früher stattfinden zu lassen als im „Bildreferenzkatalog – Private Abwasserleitungen“ (der ja übrigens auch mit auf der DIN 1986-30 basiert) angegeben.
Wie sind Unterbögen zu beseitigen?
Das Tragische an Unterbögen ist, dass sie nur auf eine Weise beseitigt werden können: durch Freilegung, das heißt durch offene Bauweise und entsprechende Korrektur des Gefälles oder sogar durch Neuverlegung der Rohrleitung. Somit ist die Beseitigung eines Unterbogens immer sehr aufwändig. Denn die Rohrleitungen, um die es hier geht, sind in der Regel so genannte „Grundleitungen“. Das heißt, dass sie untererdig verlegt und auch oftmals überbaut sind. Zum großen Teil liegen die Rohrleitungen unterhalb von Gebäuden, das heißt unterhalb der Kellersohlen. In diesen Fällen ist jeweils der Kellerboden zu öffnen.
Eine Alternative ist, eine vom Unterbogen betroffene Rohrleitung aufzugeben und die Entwässerungsanlage neu zu gestalten bzw. neu zu konzipieren. Dies ist in vielen Fällen aber auch nicht gerade unaufwändig.
Oftmals werden übrigens zur Rohrsanierung Inlinerverfahren angeboten. Aber Vorsicht: mit einem Inliner werden keine Unterbögen beseitigt!